EuGH-Urteil schränkt Macht des Internationalen Sportgerichtshofs (CAS) ein

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Es ist ein Urteil mit Sprengkraft für die internationale Sportjustiz. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg hat entschieden, dass Schiedssprüche des Internationalen Sportgerichtshofs (CAS) künftig von nationalen Gerichten innerhalb der Europäischen Union überprüft werden dürfen. Damit fällt ein jahrzehntelang zementierter Grundsatz, nämlich dass CAS-Entscheidungen in Europa nahezu unangreifbar sind. Für Athletinnen, Vereine und Funktionäre könnte dies eine Zeitenwende bedeuten.

Bislang war der in Lausanne ansässige CAS die höchste Instanz im Sportrecht. Ob Dopingsperren, Transfersanktionen oder Ausschlüsse von Wettkämpfen, seine Urteile galten als final. Nur das Schweizer Bundesgericht hatte ein gewisses Korrektiv, das sich jedoch ausschließlich auf Verfahrensfehler beschränkte. Doch das EuGH-Urteil bricht mit dieser Praxis. Schiedssprüche des CAS dürfen nun auf ihre Vereinbarkeit mit der öffentlichen Ordnung der EU – dem sogenannten ordre public – geprüft werden.

Belgischer Verein RFC Seraing zweifelte CAS-Unabhängigkeit an

„Das ist ein bedeutender Tag für die Sportschiedsgerichtsbarkeit“, sagte der Kölner Sportrechtsexperte Jan F. Orth. „Der EuGH hat heute die Rechte der strukturell Schwächeren, also vor allem der Athleten und Vereine, gestärkt.“ Damit ist der Gang vor ordentliche Gerichte in EU-Staaten möglich geworden. Ein Schritt, der weitreichende Folgen für das Gleichgewicht zwischen internationalen Sportverbänden und ihren Kritikern haben könnte. Den Auslöser für das Urteil lieferte ein Fall, der seit Jahren durch die sportjuristischen Instanzen geistert. Der belgische Fußballverein RFC Seraing befindet sich seit 2015 im Streit mit dem Weltverband FIFA. Anlass war das Verbot der sogenannten Dritteigentümerschaft (Third-Party Ownership, TPO). Dies ist eine Praxis, bei der externe Investoren wirtschaftliche Rechte an Spielern erwerben. Diese ist laut den Statuten der FIFA, UEFA und nationalen Verbände untersagt.

Fakten zum Internationalen
Sportgerichtshof (CAS)

Gründung
1984
Sitz
Lausanne, Schweiz
Vorsitz
John Coates (Australien)
Präsident des Internationalen Sportgerichtshofs
Englische Bezeichnung
Court of Arbitration for Sport (CAS)
Französische Bezeichnung
Tribunal Arbitral du Sport (TAS)
Amts- und Arbeitssprachen
Französisch, Englisch

Als Seraing dagegen verstieß, verhängte die FIFA eine Transfersperre und Geldstrafe. Der Verein erhob Klage. Und verlor zunächst beim CAS, dann beim Schweizer Bundesgericht. Doch Seraing gab nicht auf. Der Verein bezweifelte die Unabhängigkeit des CAS, da dieser maßgeblich durch internationale Sportverbände finanziert wird. Die belgischen Gerichte riefen schließlich den EuGH an – mit Erfolg. Der Spruch der Richter in Luxemburg erlaubt es nun erstmals, CAS-Schiedssprüche vollständig von EU-Gerichten prüfen zu lassen. Damit sei, so Sportrechtlerin Anne Jakob, „die Stellung des CAS erheblich geschwächt“. Besonders pikant: Der EuGH geht laut Jakob noch über das Erwartbare hinaus. „Der Gerichtshof sagt nicht nur, dass die Entscheidungen des CAS überprüfbar sein müssen – sondern dass Gerichte sogar einschränkende CAS-Entscheidungen unbeachtet lassen können.“ Damit könnten nationale Gerichte im Einzelfall Urteile des CAS schlicht ignorieren, sofern sie gegen Grundprinzipien des EU-Rechts verstoßen.

Kritik an Finanzierung und Struktur des CAS

Für die internationale Sportgemeinschaft ist das Urteil ein schwerer Rückschlag. Der „Court of Arbitration for Sport“ wurde 1984 gegründet, um weltweit einheitliche Regeln sicherzustellen – unabhängig von lokalen Rechtssystemen. Einheitlichkeit im Sinne sportlicher Fairness über Ländergrenzen hinweg war das erklärte Ziel. Diese Idee bleibt zwar bestehen, doch ihre Umsetzung steht nun unter neuer Beobachtung. Der CAS selbst reagierte zunächst gelassen. Man wende bereits jetzt EU-Recht an, „wenn dies erforderlich ist“, erklärte Generalsekretär Matthieu Reeb. Man werde auch künftig weiterhin „zeitnah und fachkundig Streitigkeiten weltweit schlichten“. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) kündigte an, das Urteil sorgfältig zu prüfen.

„Das ist ein Hammer. Die Daseinsberechtigung stelle ich jetzt nicht infrage, aber es hat natürlich eine erhebliche Schwächung der Stellung des CAS stattgefunden.“

Sportrechtlerin Anne Jakob

Doch Zweifel bleiben. Und dies nicht zuletzt wegen der massiven Kritik an der Struktur und Finanzierung des CAS. Der Vorwurf: Die Nähe zu den Verbänden erschwere unabhängige Entscheidungen und benachteilige kleinere Vereine sowie Athleten finanziell und juristisch. Das EuGH-Urteil könnte nun zum Katalysator für tiefgreifende Reformen werden. Die Sportrechtsordnung steht an einem Wendepunkt. Und die Klage eines kleinen belgischen Klubs hat gezeigt, dass auch ein scheinbar übermächtiges System angreifbar sein kann.

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